1. Woher stammt das Gnadenbild?
  

 

„Den Künstler des Gnadenbildes und wann es nach Bornhofen gekommen, konnte man bisher nicht erfahren.“ Diese Aussage findet sich in Akten des Preussischen Staatsarchivs Wiesbaden (aus dem Anfang des 18. Jahrh.). Wenig genauere Hinweise enthält das Buch von Pater Damasus Fuchs „Bornhofen am Rhein. Geschichte des Ortes, der Kirche, des Klosters und der Wallfahrt. Fulda 1937“ (S. 50): „Das Vesperbild dürfte der 2. Hälfte des 15. Jahrh. angehören, da es Anklänge an den sogen. „weichen Stil“ aufweist sowohl in der zarten Charakterisierung der Personen, wie in der reichen Fülle der zartfliessenden Gewandungen (Prof. Dr. Feigel).“ „Es stammt aus dem rheinischen Kunstgebiet“ (J. Eschweiler).
 
Die vorgenannten „kunsthistorischen Einschätzungen“ erscheinen nicht zutreffend. Das Gnadenbild von Bornhofen stammt nicht aus dem rheinischen Kunstgebiet, und für die zart fließenden Gewandungen und die „Anklänge an den sogen. weichen Stil“ gibt es durchaus naheliegende Erklärungen.
 
Es ist anzunehmen, dass das ursprünglich ganz anders aussehende Gnadenbild um 1500 – in der Zeit des Übergangs von der Spätgotik zur Renaissance – von einem (bisher) unbekannten Künstler aus der Schule Tilmann Riemenschneiders entstand, zuerst in der katholischen Kirche von Babenhausen (1473 erbaut) aufgestellt wurde und wie die berühmten Altarfiguren dort mainfränkischen Ursprungs ist.
 
Für diese zeitliche, räumliche und künstlerische Zuordnung des Vesperbildes sprechen auch die ehedem „detaillierten Gewandungen“ mit „reichem Faltenwurf“, das ausdrucksstarke Gesicht der Maria mit „nach innen gekehrtem Blick“ und die auf „Holzsichtigkeit angelegte Erstfassung der Skulptur.
 
Eine uns häufiger gestellte Frage:

 

„Wie ist es zu verstehen, dass das Gnadenbild früher (in seiner Erstfassung) ganz anders aussah als heute?“
 
Durch die zahlreichen Restaurierungen ist das ehedem „feine Schnitzwerk“ (z.B. die rechte Hand der Maria) weitgehend nicht mehr zu erkennen. Großflächige Brandspuren und bis zu 2 cm dicke Verkohlungen wurden dickschichtig überkreidet und übermalt bzw. geglättet, sodass damit der Gesamteindruck des Werkes sich stark verändert hat.
 
Die „vollständige Harmonie“ der Erstfassung der Skulptur ist am besten in den Gesichtern erhalten; die plastischen Tränen und Blutstropfen sind dagegen späteren Datums. Unter meist sehr dicker Kreidegrundierung befinden sich mehrere unterschiedliche Fassungen, die in ihrer Farbgebung nur in Teilen der obersten Fassung entsprechen.
 
Die Neufassung von Holzplastiken in der Folgezeit der Gotik war neben dem Stilwandel eine weit verbreitete Lösung der Verfallsprobleme. – Die auf „Holzsichtigkeit“ angelegte Erstfassung der Skulptur wurde (erst) um 1850 koloriert.


Manfred Reichgeld

Start: 19.12.2015